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24. Oktober 1967: Auffahrunfall nach Geisterfahrt

18.03.2022

Zu einem schweren Unfall kam es im Oktober 1967, bei dem auf der Höhe der Station Waldburg ein führerloser Steuerwagen der Forchbahn nach sechs Kilometer langer Irrfahrt auf einen stehenden Zug mit rund 80 Passagieren auffuhr. Die NZZ berichtete am 25. Oktober 1967: «Die Unfallursachen konnten noch im Verlauf des Dienstags abgeklärt werden. Der die Untersuchung führende Bezirksanwalt, lic. iur. J. Bitterli, erläuterte am späten Dienstagabend in einer Pressekonferenz die Begleitumstände, die zum Zusammenstoss geführt hatten. Der erst vor wenigen Wochen in Betrieb genommene neue Steuerwagen, der sich später selbständig machte, wurde am Dienstag gegen 7 Uhr von einem Manövriermotorwagen auf ein Geleise vor dem Depot Forch geschoben. Als der Führer des Motorwagens sah, dass der zweite Mann, der Wagenwärter, die Handbremse im Steuerwagen anzog, löste er die Kupplung zwischen den beiden Fahrzeugen. Kurz darauf, musste er indessen feststellen, dass der Steuerwagen langsam abwärts, in Richtung Zürich, zu rollen begann. Der Wagenwärter, der sich angeschickt hatte, einen Hemmschuh unter ein Rad zu legen, liess den Metallblock fallen und stieg wieder in das Fahrzeug ein, um die Bremse stärker anzuziehen. Zu erwähnen ist, dass gemäss Dienstvorschrift vor dem Ausschalten der Kupplung zwei Hemmschuhe unter die Räder zu schieben sind. Diese Vorschrift wurde missachtet. Ein weiteres Reglement besagt, dass nur Wagen mit gefüllten Bremsluftzylindern manövriert werden dürfen. Auch diese Bestimmung wurde ausser acht gelassen. Bei insgesamt fünf neuen Steuerwagen, die jeweils mit einem Motorwagen einen Zug der Forchbahn bilden, kann der Bremszylinder nur durch die Pufferkupplung der Motorwagen aufgefüllt werden. Da aber der Motorwagen für die zu bildende Komposition erst etwas später aus Esslingen eintraf, entschloss man sich am Dienstagmorgen, den Steuerwagen bereits vor dem Depot bereitzustellen. Als dann der Wagenwärter während der Fahrt die mit Luftdruck betriebene Notbremse betätigte, blieb jede Wirkung aus. Der Führer des Motorwagens, ein Italiener, holte mit dem Manövrierfahrzeug den Steuerwagen zwar ein, ungeschickterweise aber in einer Kurve. Dies hatte zur Folge; dass eine der schräg aufeinanderstossenden Kapplungen beschädigt wurde.» Auf der Strecke Fadacher-Zollikerberg war der Steuerwagen bereits so schnell, dass der hinterherfahrende Triebwagen nicht mehr mithalten konnte. Zudem war der Steuerwagen streckenweise entgleist und bewegte sich neben den Schienen, so in der Station Zollikerberg, wo er mit einem Räderpaar auf dem Trottoir fuhr und den Strassenbelag aufriss, aber beim folgenden Strassenübergang in die Schienen zurücksprang.

Laut NZZ hätte das Unglück durchaus noch verhindert werden können: «Der Wagen, der sich nur sehr langsam in Bewegung setzte und sich über eine längere Strecke im Schrittempo vorwärts bewegte, hätte sich durch einen Hemmschuh oder irgendein weiteres Hindernis sicher blockieren lassen. Arbeiter, die sich in einer Entfernung von etwa 300 Metern vom Depot aufhielten, wurden wohl mit Hafen aufgefordert, Holz auf die Schienen zu legen. Die Alarmierung muss aber zu wenig klar gewesen sein, denn die Arbeiter erfassten die Lage nicht und sahen keine Notwendigkeit, den schönen roten Wagen aufzuhalten und möglicherweise zu beschädigen.» Doch nicht nur menschliches Versagen führte zum Unfall: «Dr. Jakob Meier vom Wissenschaftlichen Dienst der Stadtpolizei erklärte, weshalb auch die Handbremse im Unfallwagen nicht funktionierte. Es konnte eindeutig festgestellt werden, dass der Wagenwärter die Kurbel der Handbremse viermal herumgedreht hatte; eine dreifache Drehung müsste normalerweise eine Vollbremsung herbeiführen. Da das Gefälle auf der Höhe des Depots nur 7 bis 13 Promille beträgt, hätte die mit vier Bremsklötzen auf ein Fahrgestell einwirkende Handbremse den Wagen wieder zum Stillstand bringen sollen. Eine Wirkung blieb indessen aus. Die Untersuchung der Bremse ergab, dass infolge eines Konstruktionsfehlers ein Defekt im Bremssystem aufgetreten war.» Ein besonderes Lob wurde im Geschäftsbericht der Forchbahn 1967 dem Wagenführer zuteil, der beim verzweifelten Versuch, die rasante Fahrt zu stoppen, nichts unversucht liess, aber beim Zusammenprall der Züge auf das zweite Gleis geschleudert und schwer verletzt wurde: «Dem Wagenwärter wurden für sein tapferes Verhalten Dank und Anerkennung ausgesprochen.»

Die Forchbahn reagierte umgehend, wie die NZZ weiter schreibt: «Wie Dr. W. Latscha, der Direktor der Verkehrsbetriebe und der Forchbahn, ausführte, werden alle neuen Steuerwagen einer strengen Kontrolle unterzogen. Mit der Handbremse allein muss beispielsweise ein Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 27 km/h zum Stillstand gebracht werden können. Im ganzen haben fünf neue Wagen der Forchbahn diesen Konstruktionsfehler. Es wurde versichert, dass alle, diese Fahrzeuge unverzüglich aus dem Verkehr genommen und Verbesserungen im Bremssystem vorgenommen werden.» Einige Jahre später mussten auch die Wagenkasten und die Pufferbefestigungen der neuen Steuerwagen ersetzt werden, da sich das Herstellermaterial nicht bewährt hatte.

Der Unfall hatte auch direkte politische Konsequenzen, wie die NZZ am 30. Oktober berichtete: «Im Zusammenhang mit dem Unfall auf der Forchbahnlinie vom Dienstag, 24. Okt., bei dem ein führerloser Wagen auf eine stehende Zugskomposition prallte, hat Gemeinderat Emil Wehrli (bgb.) dem Zürcher Stadtrat eine Interpellation eingereicht. Im Hinblick auf die namhaften finanziellen Beiträge der Stadt Zürich an die Forchbahn ersucht er um Auskunft über folgende Fragen: Warum wurde die Rollmaterialversicherung der Forchbahn ohne Grundangabe im Jahre 1965 gekündigt? In welchen Instanzenbereich fällt die Zuständigkeit der Aufhebung solcher Versicherungen? Stimmt es, dass kurz vor Vertragskündigung durch eine Versicherungsgesellschaft auf dem Platz Zürich der Forchbahn noch ein grösserer Schadenbetrag ausbezahlt worden ist? Ist der Stadtrat nicht auch der Ansicht, dass die Forchbahn, die administrativ durch die VBZ geleitet wird, wiederum eine im Privatbahnenverband übliche Rollmaterialversicherung abschliessen sollte?»

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